Palliativpsychologie 

vs. klinisch-psychologische Behandlung/klassische Psychotherapie

 

Im Gegensatz zum/r klassischen onkologischen Patient:in mit primär kurativen Therapieansatz und/oder unklarer Prognose, ergibt sich im palliativen Arbeitskontext für Klinische Psycholog:innen und/oder Psychotherapeut:innen folgender „Sonderfall“, welcher häufig eine andere, breitere und ob der Vielfalt möglicher letaler Grunderkrankungen eine über die Onkologie weit hinausgehende Herangehensweise benötigt:
 

Palliative Patient:innen unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht vom “klassischen” Patient:innenklientel der klinisch-psychologischen oder psychotherapeutischen Versorgung. Der Erstkontakt erfolgt zumeist im Rahmen einer vordergründig palliativen oder hospizlichen Versorgungssituation, d.h. bei Vorliegen einer lebenslimitierenden fortschreitenden Erkrankung. Hierzu zählen neben Krebserkrankungen kardiovaskuläre Erkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz), Erkrankung von Nieren oder Leber, pulmonale Erkrankungen (z.B. COPD), neurologische Erkrankungen (z.B. amyotrophe Lateralsklerose, Demenz), Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes mellitus), Infektionskrankheiten (z.B. AIDS) oder altersbedingte Multimorbidität (“Frailty-Syndrom”). 

Für die klinisch-psychologische und psychotherapeutische Arbeit mit Sterbenden bedeutet dies, dass bestimmte Voraussetzungen beachtet werden müssen, die sich durch folgende Aspekte charakterisieren lassen: 

  • Unvorhersehbar wechselhafte Tagesform der Patient:innen, sodass anstelle der üblichen 50-Minuten-Sitzung eine deutlich flexiblere Handhabung notwendig ist 
  • Bedingt durch die fortschreitende Erkrankung und/oder Nebenwirkungen von Therapien oft kurzfristig geänderter Allgemeinzustand, sodass Termine nicht eingehalten werden können und verschoben werden müssen
  • Eingeschränkte oder nicht vorhandene Mobilität, sodass im ambulanten Setting in der Regel nur Hausbesuche möglich sind 
  • Eingeschränkte Freiheitsgrade der pflegenden Angehörigen, sodass auch diese nur schwer eine psychotherapeutische Praxis aufsuchen können 
  • Oft eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit beziehungsweise herabgesetzte Vigilanz, sodass eine hohe Flexibilität in der Terminfindung geboten ist 
  • Häufig eingeschränkte Sprechfähigkeit (aufgrund von Schwäche, Dyspnoe oder Aphasie bei zerebralen Metastasen oder bei neurologischen Erkrankungen)
  • Begrenzte (Lebens-)Zeit, sodass auch die klinisch-psychologische und psychotherapeutische Arbeit einem gewissen Zeitdruck unterliegt 


Insbesondere aus dem letztgenannten Punkt ergibt sich, dass eine Sitzung – trotz der genannten Einschränkungen – auch zwei Stunden und länger andauern kann, wenn etwa sowohl mit den Patient:innen als auch mit Angehörigen erst separat und anschließend gemeinsam gearbeitet wird. Eine therapeutische Beziehung nach klassischem Verständnis kann aufgrund der begrenzten Zahl an Kontakten meist nicht aufgebaut werden. Stattdessen muss innerhalb kurzer Zeit – oft in den ersten Minuten der ersten und vielleicht einzigen Sitzung – eine hinreichend tiefe Begegnung stattfinden, um die wesentlichen Themen zu identifizieren und bearbeiten zu können. 

Die besonderen Umstände des palliativen Settings spiegeln sich in dem Befund wieder, dass eine manualisierte kognitive Verhaltenstherapie bei Palliativpatient:innen sich als kaum durchführbar herausstellte, da aufgrund der schweren körperlichen Beeinträchtigung nur 31% der Patient:innen in der Lage waren, an mindestens acht von insgesamt zwölf Therapiesitzungen teilzunehmen [Serfaty et al., 2019]. 

Quelle: Jan Gramm, Manuel Trachsel, Daniel Berthold (2019): Psychotherapeutisches Arbeiten in Palliative Care. Verhaltenstherapie, S.3 

Für weiterführende allgemeine Informationen im Bereich Psychologie/Psychotherapie sei an die beiden in Österreich tätigen Berufsverbände verwiesen, die bereits seit Jahren als Vertretung etabliert sind:

Psychoonkologie

 

Die Psychoonkologie ist ein Arbeitsgebiet innerhalb der Onkologie, in das Inhalte aus den Fachbereichen Medizin, Psychologie, Soziologie, praktische Philosophie und Ethik, Theologie sowie Pädagogik miteinfließen. Die Psychoonkologie zeichnet sich durch eine interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen aus. So arbeiten in der psychoonkologischen Versorgung der Patient:innen Ärzt:innen unterschiedlicher Fachgebiete, Psychologische Psychotherapeut:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, Pädagog:innen, Vertreter:innen der Künstlerischen Therapien, Pflegende, Physiotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen und Seelsorger:innen der verschiedenen Religionsgemeinschaften zusammen.


Palliativ Care ist somit kein Teilgebiet der Onkologie, sondern ein eigenständiger fachübergreifender Arbeitsbereich mit dafür spezialisierten Fort- und Weiterbildungen wie beispielsweise das Ärztediplom Palliativ Care oder die universitäre dreistufige interdisziplinäre Masterausbildung in Palliativ Care. Auch versteht sich die Psychonkologie nicht als psychologische oder medizinische Fach-/Teildisziplin, wie der Begriff jedoch zu suggerieren scheint. Vielmehr lässt sich in den S3-Leitlinien die Psychoonkologie als integraler Bestandteil der Onkologie herauslesen, welche im Idealfall multidisziplinär gelebt werden sollte. Im Gegensatz dazu definiert sich die Palliativpsychologie als klarer und von anderen Professionen deutlich abgrenzbarer Teil- bzw. Fachbereich der Klinischen Psychologie. 


Quelle: S3-Leitlinie Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten - Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (DKG) und Deutschen Krebshilfe e. V. (DKH), 2014: S. 16

Für weiterführende Informationen im Bereich Psychoonkologie sei an die beiden in Österreich tätigen Organisationen verwiesen, die auch bereits seit Jahren im Psychoonkologischen Fortbildungsbereich etabliert sind: